Das Abendmahl als Hauptthema ist typisch für nachreformatorische Kirchen im Niederelberaum; 23 von 28 Kirchen im Kreis Stade haben Abendmahlsbilder als Hauptthema. Dies deutet auf einen wahrscheinlichen theologischen Schwerpunkt hin, der von Stader Theologen ausgegangen sein dürfte. Formal scheint all diesen Altären als Muster Dürers Abendmahl aus der Holzschnittserie „die große Passion" zugrunde zu liegen. Die vier kleineren Bilder links und rechts vom fast quadratischen Abendmahlsbild stellen Szenen aus der Heilsgeschichte dar: links die Verkündigung und die Geburt, rechts die Kreuzigung und die Grablegung Jesu. Soweit ist nichts Besonderes an diesem Altar. Betrachten wir aber diese Bilder näher, so werden sie zu einem erschütternden Dokument über die Leiden des 30jährigen Krieges.
Das Abendmahl nämlich fällt in seiner Gestaltung aus dem üblichen Rahmen. Das Bild ist durch die auffällig großen Kerzenleuchter in drei Szenengruppen geteilt: auf der linken Seite sind sechs Personen dargestellt, die mit ihrem gestikulierenden Gehabe zu streiten scheinen; die drei Männer neben dem rechten Leuchter schauen aus dem Bild hinaus. Einer hat die Hände gefaltet, der im Hintergrund schaut neugierig seinem Vordermann über die Schulter; der wiederum legt seine rechte Hand breit auf einen Teller, während er seine linke vor die Brust hält, als wollte er sagen: ,, Was geht mich das an!"
Zwischen den beiden Leuchtern, als einziger ganz frontal zum Betrachter gekehrt, mit einem Leuchten um sein Haupt, sitzt Jesus mit halbgeschlossenen Augen, so als wäre er fast über das Gezänk am Tisch resigniert. Sein linker Arm stützt sich auf den Tisch, seine linke, sehr große Hand ist zu einer einladenden Geste geöffnet. Sein rechter Arm umschließt schützend einen schlaf enden Knaben, der seinen Kopf auf den Arm stützt. An Jesu Seite sehen zwei wohl ältere Männer beobachtend zur streitenden Gruppe hinüber.
Die Gesichter der Personen sind eher derb dargestellt, wie von einem harten Lebenskampf gezeichnet. Auf dem Tisch stehen Teller, liegen Brötchen, Messer, steht nur ein Becher; vor dem schützenden Arm Je-su liegt ein kleineres, gebratenes Tier; ob es ein Ferkel oder ein Hase ist, vermag man kaum zu entscheiden, auf keinen Fall aber ist es das übliche Osterlamm.
Dieses Bild scheint so gar nicht in die biblische Abendmahlsgeschichte zu passen; Streit, wilde Gesichter, nicht hinsehen zum Herrn, so als interessiere die Tischgesellschaft der Herr, seine Botschaft, nicht. Jesus scheint zu warten, ob seine Jünger sein Angebot vielleicht annehmen. Fromm biblisch ist diese Geschichte nicht. Sie scheint vielmehr die Situation der Menschen in ihrer grenzenlosen Bedrängnis und Verwilderung, ihre Bitternisse des langen Krieges zu zeigen; fromme Worte helfen ihnen nicht, glauben ist sehr schwer geworden. Das Abendmahl wird zur Hoffnung, zur möglichen Gemeinschaft trotz allen Elends, aller persönlichen Zerwürfnisse.
Hoffnungen stehen auch in den vier begleitenden Bildern: die Verkündigung an Maria, die Anbetung des Kindes, die Kreuzigung und die Grablegung werden dargestellt. Andere Szenen aus dem Leben oder dem Leiden, die sonst gezeigt werden, fehlen. Dabei kommt es bei der Darstellung nicht auf Schönheit und Genauigkeit an; das Gewicht liegt auf dem fast ungeschlacht eindringenden Engel, der der erschrockenen Maria die Mutterschaft Jesu verkündet, auf den singenden Engeln und dem nackten Kind, das Maria auf einem ausgebreiteten weißen Linnen den neugierigen Hirten zeigt. Heil und Hoffnung sind das Thema.
Die Passionsszenen zeigen Erfahrungen des eigenen Leidens: der gekreuzigte Jesus hängt gefaßt am Kreuz zwischen den vor Schmerz sich windenden Schächern; unter dem Kreuz die Frauen und Johannes, wie versteinert, ausgehöhlt vor Schmerz; und für die Henkersknechte ist ihre grausame Arbeit zu kalter Routine geworden. Dies scheint auch für die beiden Männer, wie Landsknechte gekleidet, zu gelten, die den to-ten Jesus in ein Linnen packen. Die übermacht des Leidens hat auch hier die Trauernden in ohnmächtige Starre versetzt. Auf sonst übliche Darstellungen von Szenen aus der Leidensgeschichte wie Geiselung und Dornenkrönung wird verzichtet; sie sind Alltag der Zeitgenossen, sie brauchen nicht dargestellt zu werden.
Broschüre "Unsere Liebe Frau zu Horneburg" von Reinhard Wais